Mit einem der Hauptpreise des internationalen BraunPrize Design-Wettbewerbs ist die Kieler Industriedesignerin Jadwiga Slezak am Donnerstag, 18. November, ausgezeichnet worden. Für den mit insgesamt 100.000 US-Dollar dotierten Förderpreis haben sich weltweit mehr als 1.100 junge Designerinnen und Designer aus 80 Ländern beworben. In der Kategorie „Students“ ist Slezaks Idee „WATERePUBLIC“ prämiert worden: ein multifunktionaler Wasserspender für den öffentlichen Raum. Mit ihrem Konzept überdenkt die Designerin das städtische Netz an Hydranten und verwandelt diese in öffentlich zugängliche Wasserstellen, die den individuellen Konsum frischen Trinkwassers ermöglichen. Auf diese Weise ließen sich die Lebensqualität in den Städten steigern, das Stadtklima schützen und das Gemeinschaftsgefühl stärken – so die Überlegungen der Preisträgerin.
Virgil Abloh, Chief Creative Director und Gründer von Off-White sowie Men’s Artistic Director bei Louis Vuitton, war eines der Jurymitglieder und favorisierte Slezaks Konzept: „Was mein Interesse an diesem besonderen Konzept geweckt hat, war, wie allgegenwärtig und offensichtlich die Idee ist – zu verstehen, dass Wasser für unsere menschliche Existenz von entscheidender Bedeutung ist, aber über Möglichkeiten nachzudenken, Wasser in unsere nähere Umgebung zu integrieren, fand ich sehr ergreifend und ein lebenswichtiges Anliegen.“ Am Design überzeugte ihn die Tatsache, dass etwas Bestehendes „verfeinert wurde – es blickte in die Zukunft, lehnte sich aber in die Vergangenheit.“
„Über diese enorm positive Resonanz freue ich mich sehr, da sie mir zeigt, dass andere Menschen mein Anliegen, öffentliche Räume aufzuwerten, unseren Konsum von Flaschenwasser zu reduzieren und Infrastrukturen effizienter und damit nachhaltiger zu nutzen, auch verstehen und sogar teilen“, sagt Jadwiga Slezak. „Der Preis ist eine wichtige und motivierende Bestätigung für mich als Gestalterin.“ Jadwiga Slezak hat im Sommersemester 2020 ihren Master-Abschluss an der Muthesius Kunsthochschule absolviert. „WATERePUBLIC“ ist ihre von Professor Detlef Rhein und Professorin Dr. Annika Frye betreute Abschlussarbeit. Sie ist bereits vor kurzem bei der Verleihung des Mia-Seeger-Preises und bei den German Design Graduates gewürdigt worden.
Industriedesign-Professor Detlef Rhein, der Jadwiga Slezaks Thesis-Projekt in der Praxis begleitet hat, ist überwältigt. „Der BraunPrize ist der Oscar der Designszene und für uns Industriedesigner von enormer Bedeutung. In der Vergangenheit haben wir immer wieder Anerkennungen erhalten, aber es ist der erste Hauptpreis überhaupt, den eine unserer Studierenden gewinnt! Wir freuen uns alle für und mit Jadwiga Slezak und sind noch immer sprachlos“, sagt er. Professorin Dr. Annika Frye, die Jadwiga Slezaks Arbeit in der Theorie begleitet hat, erklärt, was sie an der Idee von „WATERePUBLIC“ fasziniert hat: „Jadwiga Slezaks Projekt reagiert auf den Kilmawandel in Großstädten. Es ist ein überzeugender Beitrag zur Debatte rund um die Frage, wie unser Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen organisiert sein sollte. Das ist, was Design heute leisten soll: Fragen von Gemeinschaftlichkeit und Demokratie werden aktualisiert, um eine wünschenswerte Zukunft zu entwerfen.“
Dr. Arne Zerbst, Präsident der Muthesius Kunsthochschule, sagt: „Jadwiga Slezak leistet aus Verantwortung ikonische Überzeugungsarbeit für die Nachhaltigkeit! Mit ihrer Arbeit WATERePUBLIC entwirft sie ein Zukunftsbild, das begeistert, ein Bild, hinter das wir Menschen nicht zurückgehen können. Dass sie dafür eine Auszeichnung mit diesem Stellenwert erhält und sich weltweit gegen mehr als tausend Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt hat, freut uns alle sehr und wir gratulieren herzlich. Für die Muthesius Kunsthochschule ist diese Auszeichnung von historischer Bedeutung – ein fantastisches Signal, dass die Designwelt nach Kiel schaut.“
Der BraunPrize
1968 ist der internationale Designförderpreis von Erwin Braun, Sohn des Firmengründers Max Braun, erstmals gestiftet worden. Er wird alle drei Jahre verliehen – in diesem Jahr bereits zum 21. Mal. Das Motto „shape tomorrow“ trifft thematisch den Kern des Industriedesigns an der Muthesius Kunsthochschule. Allein beim vergangenen Wettbewerb im Jahr 2018 haben sich mehr als 3000 junge Talente aus über 100 Ländern beworben. Gefragt sind Konzepte von Nachwuchsdesignerinnen und
-designern, die das Leben heute und in Zukunft verbessern können. In diesem Jahr sind zehn Hauptpreise vergeben worden, die mit jeweils 10.000 US-Dollar dotiert sind.
Zur Person: Jadwiga Slezak
Jadwiga Slezak arbeitet an der Muthesius Kunsthochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Forschungsprojekt „Nachhaltige Mobilitätstransformation“; es wird von der Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein (EKSH) gefördert. Sie wurde 1988 in Kassel geboren und studierte zunächst an der Fachhochschule Potsdam Industriedesign (Bachelor). An eine mehrjährige Tätigkeit als Industriedesignerin in einer Berliner Agentur schloss sie ihr Master-Studium im Studiengang Industriedesign mit Schwerpunkt Medical Design an der Muthesius Kunsthochschule Kiel an. Außerdem erarbeitet sie derzeit zusammen mit der Materialforscherin Kerstin Meyer ein neues Sitzkonzept für den innerstädtischen Busverkehr, das nachhaltige Materialien und Oberflächenqualitäten in den Vordergrund stellt.
Drei Fragen an Jadwiga Slezak
Frau Slezak, was hat Sie dazu inspiriert, einen Hydranten umzudeuten?
„Auf der Suche nach einem Thema für meine Master-Thesis wurde mir bewusst, dass der Zugang zu Wasser im öffentlichen Raum eine wichtige Rolle bei der Lösung zentraler Probleme unserer Zeit spielt. Öffentliche Räume werden zunehmend vernachlässigt und privatisiert. Die soziale Ungleichheit wächst, immer mehr Menschen leiden an Übergewicht und Bewegungsmangel und unser immenses Aufkommen an Plastikmüll ist alarmierend. Der stetig wachsende Konsum von Flaschenwasser verstärkt diesen Trend und schlägt sich in einer negativen CO2-Bilanz nieder. Wer stilles Mineralwasser in Flaschen verbraucht, verursacht allein damit 586-mal mehr CO2-Ausstoß als diejenigen, die stilles Leitungswasser trinken. Denn die Herstellung und der Transport von Flaschenwasser sind sehr CO2-intensiv. Damit einhergehend führt der Klimawandel zu sommerlichen Hitzewellen, die sich negativ auf die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen und Tieren auswirken. Auch die Grünpflanzen leiden zunehmend unter den neuen klimatischen Bedingungen. Dabei sind gerade sie ein entscheidender Faktor für den Klimaschutz in unseren Städten.
In Deutschland und vielen anderen Städten der Welt ist alle 150 Meter ein Hydrant mit Trinkwasser zu finden. Die nötige Infrastruktur ist also bereits da. Als mir das klar wurde, war der Grundstein für mein Designkonzept gelegt.“
Welche Wirkung wünschen Sie sich für Ihr Konzept „WATERePUBLIC“?
„Ich wünsche mir, dass mein Konzept die Menschen sensibilisiert: dafür, dass Gemeingütern wie Wasser und öffentlichem Raum eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Ein Bus, der 30 Jahre lang täglich Tausende Menschen durch die Stadt fährt, oder ein öffentlicher Platz, auf dem wir täglich Zeit verbringen, prägt unser Leben enorm. Daher sollten diese Dinge bestmöglich gestaltet werden. Aber was das Design anbelangt, wird ihnen oft mit Pessimismus begegnet – so als lohne es sich nicht, in diese funktionalen Bestandteile unseres Alltags zu investieren. Private Konsumgüter werden hoch angesehen, weil es dafür einen Markt gibt. Güter, die geteilt werden, behandelt unsere Gesellschaft relativ schlecht – wie beispielsweise Leihfahrräder. Und das halte ich für falsch. Ich wünsche mir, dass ein Mind Shift stattfindet, ein Umdenken. Und dass Konzepte wie meines ein Bewusstsein für den Wert einer Gemeinschaft schaffen. Der Zugang zu Wasser ist nicht weniger als ein Symbol für eine funktionierende Gesellschaft – das zeigt schon ein Blick in die Geschichte. Ich bin überzeugt, dass von Gemeingütern wie Wasser und öffentlichem Raum der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Lebensqualität in unseren Städten abhängen. Daher liegt darauf auch mein Interessensschwerpunkt als Designerin: öffentliche und geteilte Güter zu gestalten, weil sie eine wichtige Rolle spielen für eine gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft und für ein öffentliches Leben, an dem alle teilhaben können.“
Ihr Konzept des transformierten Hydranten ist bereits beim Mia-Seeger-Preis und bei den German Design Graduates gewürdigt worden – nun kommt der BraunPrize hinzu. Was bedeutet Ihnen diese geballte Anerkennung?
„Über diese enorm positive Resonanz freue ich mich sehr, da sie mir zeigt, dass andere Menschen mein Anliegen, öffentliche Räume aufzuwerten, unseren Konsum von Flaschenwasser zu reduzieren und Infrastrukturen effizienter und damit nachhaltiger zu nutzen, auch verstehen und sogar teilen. Bezüglich meiner Arbeiten bin ich sehr selbstkritisch – insofern ist es eine wichtige und motivierende Bestätigung für mich als Gestalterin.“